Noch bevor sie überhaupt eingesetzt werden können, rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Deutschen auf, die Vakzine mit „ärmeren Ländern“ zu teilen. Warum bei der weltweiten Verteilung Deutschland ruhig einmal zuerst an sich denken darf.
Als zu Beginn des Jahres die Gefahr der Corona-Pandemie erkannt wurde, da war auch in der EU jedes Land sich selbst das nächste. Die Grenzen wurden dicht gemacht, und im Umgang mit der Krise zeigten sich jeweils die nationalen Eigenheiten – im Guten wie im Schlechten.
Berufseuropäer mag das enttäuscht haben, aber die Konzentration auf das nationale Interesse ist ein genauso natürlicher und legitimer Impuls wie jener, sich bei Bedrohungen zuerst um sich selbst und die eigenen Angehörigen zu sorgen.
Trotzdem gab es in der EU auch Hilfsangebote über Ländergrenzen hinweg. Was zu schwierigen Abwägungen führte. Sollte man Schutzmasken nach Italien schicken auf die Gefahr hin, dass sie im eigenen Land knapp werden könnten, wenn dort die Welle ankommt?
Sollte Deutschland mit seiner hohen Zahl an Intensivbetten Patienten aus Nachbarstaaten aufnehmen, auch wenn das die Versorgung einheimischer Schwerkranker gefährdet?
Es wurden dann unter anderem Franzosen und Italiener in deutschen Krankenhäusern behandelt. Aber warum nicht auch Patienten aus Rumänien, aus Russland, aus Marokko? Wo ziehen wir die Linie, wenn die Mittel begrenzt sind?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat diese Frage in der vergangenen Woche mit Blick auf die sehnlichst erwarteten Impfstoffe beantwortet.
Noch bevor sie überhaupt eingesetzt werden können, rief er die Deutschen bereits dazu auf, die Vakzine mit „ärmeren Ländern“ zu teilen. Es müsse gelingen, „einen weltweit fairen, transparenten und bezahlbaren Zugang zu Impfstoffen sicherzustellen“.
Zuvor hatte bereits Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, die EU werde ihre bestellten Impfstoffe auch an „unsere Partner anderswo in der Welt“ abgeben.
Man versteht den Impuls. Höchste moralische Ansprüche zu formulieren gehört zum Profil der beiden Spitzenpolitiker.
Tatsächlich aber siegt auch im weltweiten Rennen um die Impfstoffe das nationale Interesse über die hehren Grundsätze.
Wie sollte es auch anders sein in einer Welt, in der es bei allem, was das Leben besser macht, keinen fairen und bezahlbaren Zugang für jeden gibt und niemals geben kann?
Die britische Regierung etwa hat für ihre 67 Millionen Bürger üppig vorgesorgt und Verträge über 340 Millionen Dosen verschiedener Impfstoffe abgeschlossen, um die Chancen zu erhöhen, dass dann das beste Vakzin dabei ist.
Impfstoffe für Entwicklungsländer
Ähnliches gilt für Deutschland. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ließ wissen: „Ich gebe nachher gerne anderen Ländern auf der Welt etwas von den mit uns vertraglich geklärten Impfstoffen ab, wenn sich herausstellt, dass wir mehr haben, als wir brauchen.“
Zugleich unterstützen beide Länder die Covax-Allianz der Weltgesundheitsorganisation, die dafür sorgen soll, dass auch Entwicklungsländer etwas abbekommen.
Ziel von Covax ist es, zwei Milliarden Impfdosen einzukaufen und bis Ende 2021 weltweit „fair zu verteilen“. Noch ist die Finanzierung nicht gesichert. Großbritannien hat umgerechnet 550 Millionen Euro zugesagt, die EU zahlt 400 Millionen Euro, Deutschland 100 Millionen.
Aber man sollte die „armen“ Länder auch nicht unterschätzen. Vietnam zum Beispiel, auf Platz 129 der weltweiten Wohlstandsskala, hat sich für seine knapp 100 Millionen Einwohner bereits 150 Millionen Dosen gesichert und erklärt, es forsche außerdem an einem eigenen Impfstoff.
Und was den ärmsten Kontinent Afrika betrifft, so ist dort Corona gar nicht das drängendste Problem. Die Menschen fürchten sich mehr vor Unterernährung und davor, durch staatliche Schutzmaßnahmen ihre kleinen Jobs zu verlieren.
Afrika ist mit Abstand der Kontinent mit der jüngsten Bevölkerung, nur drei Prozent sind über 65 Jahre alt, und es ist der Kontinent mit dem höchsten Anteil an milden Verläufen der Krankheit.
Deshalb sind auch all die Horrorszenarien zu Beginn der Pandemie nicht eingetroffen, nach denen Corona in Afrika viel verheerender wüten werde als in den hochentwickelten Staaten.
Das Gegenteil trat ein: Am schwersten getroffen wurden das vergreiste Europa mit seinen Wohlstandskrankheiten und Nord- und Südamerika.
In Deutschland, dem Land mit der nach Japan zweitältesten Bevölkerung der Welt, zählen bis zu 40 Prozent der Einwohner zur Risikogruppe, wie die Bundeskanzlerin und der Gesundheitsminister stets betonen.
Das ist Rechtfertigung genug, alle Energien darauf zu konzentrieren, zunächst den Bürgern hierzulande schnell den bestmöglichen Impfstoff zur Verfügung zu stellen.
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